Emigration von Südwestdeutschland über Preußen nach Bessarabien
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Emigration nach West-, Süd- und Neu-Ostpreußen

Umstände im Herzogtum Warschau

Emigration nach Bessarabien - Umstände, Routen

Emigration nach West-, Süd- und Neu-Ostpreußen1)

Da wohl etwa ein Viertel der sich später in Bessarabien ansiedelnden deutschen Siedler und ein großer Teil der sich in Klöstitz ansiedelnden Familien entweder selbst noch von Südwestdeutschland nach Preußen emigrierte bzw. dies ihre Eltern- oder Großelterngeneration tat, soll imKlicken Sie heir für eine detaillierte Karte mit den Herkunftsorten/Zwischenstationen der Klöstitzer SiedlerKlicken Sie hier für eine detaillierte Karte mit den Herkunftsorten der Klöstitzer SiedlerKlicken Sie hier für eine detaillierte Karte mit den Herkunftsorten der Klöstitzer Siedler Folgenden auf die Hauptaspekte dieses Emigrationsstroms eingegangen und die Lebensumstände der Einwanderer in den preußischen Gebieten dargestellt werden.

Ursächlich für die Ansiedlung südwestdeutscher Siedler zunächst in Westpreußen und dem Netzedistrikt und später dann im sogenannten "Preußisch-Polen", d.h. hauptsächlich in Südpreußen (dem ehemaligen Großpolen) und mit Einschränkungen auch in Neu-Ostpreußen, sind einmal die "Peuplierungspolitik" der Preußenkönige, die unter der Regentschaft von Friedrich II. (1740 - 86) ihren Höhepunkt erreichte, und vor allem die sozio-ökonomische Situation der unteren Bevölkerungsschichten in den Herkunftsregionen, die sich durch Emigration aus ihrer Not befreien wollten.

Am Ende des Siebenjährigen Kriegs tritt Preußen 1763 gleichberechtigt und ohne Gebietsverluste in den Kreis der europäischen Großmächte ein. In den Jahren 1772, 1793 und 1795 teilen sich - vereinfacht gesagt - Preußen, Russland und Österreich das Königreich Polen untereinander auf. Die näheren Umstände sollen uns an dieser Stelle nicht interessieren. Neben einer Durchmischung der ansässigen polnischen Bevölkerung mit deutschsprachigen Siedlern (Stichwort: Germanisierung) vor allem in Süd- und Neu-Ostpreußen, ging es den Preußenkönigen zum Zweiten um die Kultivierung der neu hinzugewonnenen Provinzen - und das hieß vor allem, Sumpflandschaften und Wälder urbar zu machen. Zu diesem Zweck warben sie - wie schon in der ersten Hälfte und in den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts - auch Siedler in Südwestdeutschland an.

Krieg-/Friedenszeiten, Lage der Nahrungsmittelversorgung und Getreidepreis, Beschäftigungssituation und Einkommen, begrenzte finanzielle/administrative Kapazitäten und Ressourcen zur Abwicklung der Ansiedlung sowie die Konkurrenz um die Siedler und damit die Angebote oder in manchen Zeiten auch Forderungen an diese seitens Preußens, Russlands, Österreichs und Amerikas waren entscheidende Faktoren, die die Emigrationsströme aus Südwestdeutschland zeitlich, mengenmäßig und in Bezug auf das Emigrationsziel strukturierten.

Seit den massiven mittelalterlichen (Ordensritter) und spätmittelalterlichen (Hanse) deutschen Kolonisationen östlich der Elbe, flaute der Menschenstrom Richtung Osten bedingt durch politische und religiöse Unruhen sowie durch den Ausbruch der Pest ab. Erst nach Beginn der staatlich gelenkten preußischen Ansiedungsprogramme Ende des 17. Jahrhunderts gewann der Strom der Emigration aus dem Reich in den Osten wieder an Kraft. In der Zeit zwischen der Niederlage der Türken vor Wien (1683) bis zur Neuordnung der europäischen Staaten nach den Napoleonischen Kriegen (1815) emigrierten aus Südwestdeutschland rund eine halbe Million Menschen - ein kleiner Teil davon in preußische Gebiete. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts konnten von den preußischen Königen vor allem Hugenotten, Salzburger, Schweizer, Pfälzer und Hessen zur Ansiedlung gewonnen werden. Emigranten aus Württemberg und Baden spielten erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts eine größere Rolle.

In den knapp 60 Jahren zwischen dem Ende des Österreichischen Erfolgekriegs (1748) und dem Untergang des altpreußischen Staates (1806) gab es drei Hauptemigrationsschübe von Südwestdeutschland nach Preußen: in den frühen 50er Jahren nach Preußisch-Pommern, zwischen 1781-84 ins annektierte Westpreußen und dem Netzedistrikt sowie in den Jahren 1801-04 ins annektierte Süd- und Neu-Ostpreußen. Die Emigranten der Jahre 1801-04 machen den größten Teil der Klöstitzer Siedler südwestdeutscher Herkunft aus. Ein kleiner Teil der in Westpreußen und dem Netzedistrikt angesiedelten Emigranten bzw. ihre Nachkommen wanderte nach der zweiten und dritten polnischen Teilung in die von Preußen hinzugewonnenen Provinzen Süd- und Neu-Ostpreußen aus. Dies war jedoch die Ausnahme, da die preußische Regierung die interne Migration reglementierte.

Die Emigration aus dem Reich nach Westpreußen und dem Netzedistrikt belief sich auf insgesamt etwa 15.000 Personen (davon ca. 6.000 aus Südwestdeutschland); hinzu kamen nach der zweiten und dritten polnischen Teilung in Südpreußen insgesamt 10.000 Siedler (davon knapp 5.000 aus Südwestdeutschland) und in Neu-Ostpreußen 3.500 Siedler (davon rund 1.200 aus Südwestdeutschland). So emigrierten beispielsweise allein aus dem Herzogtum Württemberg zwischen 1781-84 rund 4.500 Personen nach Westpreußen und in den Netzedistrikt und zwischen1801-04 gut 6.000 nach Süd- und Neu-Ostpreußen. In den Jahren 1801 - 04 kann man in Württemberg von einem regelrechten Exodus sprechen. Offiziell registriert emigrierten insgesamt - also nicht nur in die preußischen Gebiete - in dieser Zeit 1,5% der württembergischen Bevölkerung. Von den in Westpreußen und dem Netzedistrikt angesiedelten Familen wurden etwa 40% in Städten und 60% auf dem Land angesiedelt.14)5) Der Anteil der auf dem Land angesiedelten südwestdeutschen Immigranten aller Siedlungsschübe dürfte jedoch höher sein.

Ein kleiner Teil der Siedler aus diesen drei Siedlungsschüben bzw. deren Kinder und/oder Kindeskinder emigrierten dann später nach Bessarabien. Das betraf vor allem die südpreußischen Immigranten der südwestdeutschen Emigration der Jahre 1801-04 und mit Ausnahmen auch die Emigranten der Jahre 1781 - 84 nach Westpreußen und dem Netzedistrikt. Die Siedler dieser beiden Emigrationsströme bzw. deren Nachkommen stellten mit etwa 500 Familien und gut 2.000 Personen rund ein Viertel der deutschstämmigen Kolonisten in Bessarabien. Neben einzelnen preußischen Siedlern stellen sie jedoch den Großteil der sich in Klöstitz ansiedelnden 134 Familien.

Bei den Emigrationen handelte es sich in der Regel um Familien- und Gruppenwanderungen von Nachbarschaften; die Mehrzahl der Männer und Frauen waren dabei mittleren Alters. Die Anzahl der Familienmitglieder betrug im Durchschnitt 5 Personen. Die Reise von Württemberg über Berlin in die Ansiedlungsregionen betrug ca. 6 - 8 Wochen. Um die Schwierigkeiten, die eine solche Übersiedlung mit sich brachte zu überblicken und um die Siedlungsbedingungen in den Ansiedlungsgebieten einzuschätzen, wurden oft junge ledige Männer als Kundschafter eingesetzt. Zur Risikominimierung wurde auch auf eine stufenweise Emigration zurückgegriffen: zunächst nur Männer und Familienväter, später dann Frauen und Kinder. 50 - 70% der württembergischen Emigranten im zweiten und dritten Emigrationsschub bezeichneten sich als Bauern, ansonsten kamen jeweils mit wenigen Prozenten vor allem folgende Berufsgruppen vor: Textil/Bekleidung (Weber, Schuster, Schneider), Bauhandwerk (Maurer, Zimmerer), Lebensmittelherstellung (Bäcker, Metzger).

Zur Emigration entschlossen sich vor allem verarmte kleinbäuerlich-handwerkliche Schichten mit geringem oder fehlendem Grundbesitz. Hohes Bevölkerungswachstum in einer der sowieso schon bevölkerungsreichsten Gegenden Europas und fortschreitende Realteilung der Höfe entzogen diesen Menschen immer mehr die Subsistenzbasis; die Einkommen handwerklicher Schichten waren von zunehmender Gewerbeübersättigung bedroht. Ein knappes halbes Jahrhundert vor dem merkbaren Einsetzen der Industrialisierung in Deutschland waren Alternativen für den Broterwerb für diese überflüssigen Menschenmassen kaum gegeben. Hinzu kam Ende des 18. Jahrhunderts ein massiver Reallohnverfall bei steigenden Getreidepreisen, was die Nahrungsmittelversorgung immer schwieriger werden ließ. Ganz allgemein kann man einen deutlichen Zusammenhang sowohl zwischen dem Preis für Dinkel - Hauptbrotgetreide der Zeit - und der Auswanderungsintensität als auch zwischen den Ernteergebnissen eines Jahres und der Auswanderungsintensität des jeweils folgenden Jahres nachweisen.15)

Die von diesen Umständen am meisten betroffenen Menschen waren am ehesten bereit ihre Heimat zu verlassen, sobald sich woanders die Möglichkeit zu einer Chancenverbesserung bot und sie eine Zukunftsperspektive sahen. Religiöse Gründe spielten bei der Auswanderung in dieser Zeit nur eine untergeordnete Rolle.

Hinzu kamen jedoch noch die drückenden Lasten auf die Bevölkerung zur Finanzierung der selbstherrlich regierten spätabsolutistischen Klein- und Kleinststaaten und die zu leistenden Forst-, Jagd- Fron- u.a. Dienste, die einen Bauer in manchen Zeiten schon mal vier Tage lang in der Woche beschäftigt halten konnten, sowie die mit den Kriegen (Österreichischer Erbfolgekrieg, Siebenjähriger Krieg, Koalitionskriege gegen das revolutionäre Frankreich und Besetzung, Durchzug der Armeen Napoleons u.a.) verbundenen zusätzlichen Steuerlasten, Vorspann, Einquartierungen, Rekrutierungen, Plünderungen, etc. - was alles zusammengenommen die Emigrationsbereitschaft erhöhte.

Von den in den Monaten März bis Juni 1804 erfassten Auswanderer aus dem Herzogtum Württemberg gaben gut 40% Mangel an Nahrung und Arbeit, knapp 20% Hoffnung auf besseres Glück und um die 10% jeweils Verschuldung, hohe Abgaben und Separatismus als Emigrationsgrund an. Die Masse der Emigranten emigrierte in dieser Zeit mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Vermögen (hier ist das Gesamtvermögen nicht allein das Barvermögen gemeint!) von durchschnittlich rund 60 Gulden; das entsprach etwa dem 2,5-fachen Jahresbedarf an Brotgetreide für eine Person und man konnte damit rund 30 Zentner Dinkel kaufen.2)

Obwohl im Reichsgebiet die Auswanderung selbst von Leibeigenen gestattet war, versuchten die Herrscher in Südwestdeutschland trotz bekannter Überbevölkerung und Landknappheit den Auswandererstrom mit Verboten und Behinderungen zu reglementieren bzw. alle Werbungsversuche zu unterbinden: In der Zeit des Merkantilismus strebten sie nach einer hohen Untertanenzahl, die Werte schaffen, Steuern zahlen und Soldaten stellen konnte, und sie waren davon überzeugt, daß nur diese ihnen hohen Stand, Macht und Reichtum sichern konnte. Emigration ihrer Untertanen bedeutete für sie Verlust an Menschen- und Sachkapital, was es möglichst mit allen Mitteln zu unterbinden galt.

Dem standen die Werber für die staatlich organisierte und kontrollierte Emigration nach Russland, Österreich, Preußen und die Privatwerber für die USA gegenüber. Sie alle betrieben ihre Agitation meist von reichsunmittelbaren Städten und anderen kleinen Territorien in der Nähe der Anwerbungsregion aus, da sie dort der Landesherr nicht einsperren lassen konnte. Sie konkurrierten jedoch nur selten direkt um die Emigranten da ihre Anwerbungsaktivitäten sich zeitlicht und räumlich i.d.R. nicht überschnitten und sie meist auch an Emigrantengruppen verschiedener Konfession (Lutheraner, Reformierte, Katholiken) oder Berufen interessiert waren. Wurden von Preußen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts anfangs vor allem Pfälzer und Hessen geworben, so wurde in die Werbearbeit später der ganze südwestdeutsche Raum einbezogen.

Den Hauptanstoß zu den Emigrationsschüben von 1781-84 und 1801-04 gaben zum einen die miserable Lage breiter Bevölkerungsschichten in den Herkunftsregionen und die preußischen Werbungskampagnen; aber vor allem veranlasste die Nachricht von geglückten Ansiedlungen weniger Familien hunderte andere Emigrationswillige ebenfalls, ihr Glück in Preußen zu suchen.

Während der ersten Ansiedlungsperioden und auch noch 1781-84 in Westpreußen und dem Netzedistrikt wurde auf die Eignung für die siedlerischen Aufgaben weniger Wert gelegt: Quantität ging vor Qualität. Später bei der Besiedlung Süd- und Neu-Ostpreußens sollte sich die Haltung der preußischen Regierung zur Qualität der anzusiedlenden Menschen ändern. Der massenhafte Zustrom verarmter Siedler stellte die Behörden oft vor große Probleme, und sie versuchten den Strom zu reglementieren indem sie Anforderungen an das mitzubringende Vermögen stellten, es sollte eine angemessene Betriebsführung garantieren. Besonders hohe Vermögensanforderungen wurden für die Ansiedlung in Neu-Ostpreußen gestellt.

In der seit 1802 einsetzenden Phase regelrecht bürokratisch organisierter Kolonistenansiedlung wurden vorteilhafte Ansiedlungsbedingungen offeriert wie "klare Reisemodalitäten; die Möglichkeit, zuvor die Verhältnisse in den Siedlungsgebieten durch eigenen Augenschein zu überprüfen; Reisegelder und kostenlose umfangreiche Landzuweisungen  - umfangreich zumindest aus der Sicht des ortsunkundigen Kolonisten aus Südwestdeutschland; kostenloser Bau der Wohngebäude, kostenlose Stellung von Wirtschaftsgerät und notwendigem Viehbestand, drei bis sechs Freijahre, mäßige Abgaben, freie Religionsausübung und Freiheit vom Militärdienst für die Kolonisten und ihre eingewanderten Söhne."3) Wegen des starken Zulaufs wurde die Werbung in den Jahren 1804-05 eingestellt. Nach der Niederlage der preußischen Armeen gegen Napoleon in Jena und Auerstedt (1806) und mit Zerfall des Reiches und Verbot der Auswanderung in Württemberg seit 1807 ebbte die Emigration nach Preußen schließlich ganz ab.

Im Vergleich zu Österreich und Rußland mit ihren freien, fast unbesiedelten Steppen fielen die Besiedlungsbemühungen der preußischen Könige bescheidener aus. Bis auf die königlichen u.a. staatliche Domänen befand sich das Land weitgehend in Junkerhand. Die preußische Zentralgewalt hatte gegenüber den Gutsbezirken, die de facto Territorialstaaten im Kleinen waren, nur wenig Macht - und Willen wohl auch nicht. Es herrschte Gutsherrnwirtschaft, d.h. der Gutsbauer war meist in sklavischer Knechtschaft per Erbuntertänigkeit an den Gutsherrn gebunden und mußte Natural- und Geldabgaben sowie Fronen leisten. Erst nach dem Zusammenbruch des altpreußischen Staats (1806) sollte sich mit den Steinschen und Hardenbergschen Reformen ganz zaghaft etwas daran ändern.

Da wohl kaum jemand in die Unfreiheit einer Gutsbauernstellung emigrieren würde, konnten die Preußenkönige i.d.R. nur durch Schaffung eines freien Kolonistenstandes auf den landesherrlichen Domänen mit meist schlechten, schwer zugänglichen Böden wie Moore, Brüche und Sandwälder siedeln lassen. Aus diesem Grund fanden die ersten Ansiedlungen auch im Oder- Netze- und Warthebruch statt. Die Kolonisten wurden meist entweder geschlossen in neu gegründeten Dörfern angesiedelt oder es wurden Kolonien neben den Dörfern mit polnischsprachiger Bevölkerung angelegt. Zentren der Ansiedlung nach der zweiten und dritten polnischen Teilung waren vor allem die Großräume Posen, Bromberg (Bydgoszcz) und Lodz. Aus diesen Gebieten kamen auch viele Klöstitzer Siedler.

Dank der vorwiegend deutsch sprechenden Bevölkerung gelang nach 1772 die Eingliederung Westpreußens und des Netzedistrikts in den preußischen Staat relativ reibungslos. Weiter südöstlich im seit 1793 besetzten Großpolen  - von nun an Südpreußen - wurde dagegen ganz allgemein polnisch gesprochen, nur wenige sprachen oder verstanden deutsch. In diesem Gebiet kam es - angeführt von Kościuszko - zu großen allerdings letzlich erfolglosen Aufständen gegen die Besatzer - allein das preußische Heer mußte 50.000 Mann aufbieten, diese niederzuschlagen. An den Erhebungen beteiligten sich auch tausende Rekruten aus Südpreußen.7)

Nach Niederschlagung der Aufstände wurde die Administration in den annektierten Gebieten restrukturiert und zentralisiert. Alle Polen wurden aus Regierung, Verwaltung und von Gerichten entfernt und der Gebrauch der polnischen Sprache dort wurde untersagt. Der preußische Staat konfiszierte die staatlichen polnischen Domänen. Das Land der an den Aufständen in Großpolen beteilgten Angehörigen des polnischen Klein- und mittleren Adels wurde ebenfalls konfisziert und später an Berliner Bankiers veräußert bzw. oft auch preußischen Junkern als sogenannte "Gratialgüter" geschenkt oder diesen zu einem Spottpreis überlassen. I.d.R. war die Mehrzahl der polnischen Bevölkerung den Besatzern gegenüber feindselig eingestellt. Trotz der Wachsamkeit der preußischen Behörden verließen nicht wenige junge Polen das Land, um in den polnischen Einheiten der Armeen Napoleons zu kämpfen. Angesichts dieser Situation u.a.,  ließ Friedrich Wilhelm III. Maßnahmen ergreifen, die annektierten Gebiete mit deutschen Kolonisten zu besiedeln, denen das Land als Eigentum zugesichert werden sollte.13) Zu diesem Zweck erließ der preußische König am 18. September 1796 an den zum Verwalter dieser Gebiete bestellten Minister Hoym eine Kabinettsorder, in der er ihm nahelegte "Euer Augenmerk darauf zu richten, daß in den neuen Aquisitions und in Südpreußen auf gute deutsche Landwirte gehalten werde und daß erbliche und auf adelige Rechte konferierte Güter nicht wieder in die Hände der vormahligen Pohlen kommen."8)

Der Zweck der Kolonistenansetzung bestand aus preußischer Sicht neben der allgemeinen Bevölkerungsvermehrung also auch in der Germanisierung. Hinzu kam das Interesse an der "Verbreitung der Ackerkultur", d.h. dem Urbarmachen von Land durch Trockenlegung von Sümpfen und Roden von Wald. Nach diesen zu erbringenden Leistungen war oftmals erst an die eigentliche Ansiedlung und Bestellung von Feldern zu denken. Erdlöcher und Reisighütten mußten den Siedlern in dieser Zeit oft jahrelang als Notunterkunft dienen. Zu besiedelndes Land war immer begrenzt. Die meisten Siedler bekamen durchschnittlich 1,5 Hufen ( gut 10 ha), ein Teil 20 - 50 ha, der Rest wurde als Häusler mit nur 2 bis 5 ha angesetzt.4)6)  Im Allgemeinen war die Landzuteilung angesichts der geringen Ertragskraft der Böden knapp bemessen. Obwohl der polnischen Bevölkerung gegenüber privilegiert, waren viele südwestdeutsche Siedler mit ihrer Lage unzufrieden. In Briefen an ihre Angehörigen drückten sie oft tiefe Verzweifelung über ihre Situation in "Preußisch-Polen" aus.

Wenige Jahre nach der Ansiedlung in Süd- und Neu-Ostpreußen standen die Immigranten oft noch immer vor dem Nichts. Dem zusammenbrechenden preußischen Staat fehlten offenbar in Kriegszeiten die Ressourcen, seine Verpflichtungen den Kolonisten gegenüber nachzukommen: So wurde beispielsweise von den Forstämtern das Holz von den gerade urbar gemachten Feldern nicht geräumt, und ein Großteil der Ernte wurde jahrelang regelmäßig durch Überschwemmungen mangels zugesagter Entwässerungsgräben vernichtet. Nun bereits einige Jahren in Süd- und Neu-Ostpreußen, befanden sich viele Sielder noch immer in einer ähnlich prekären Situation wie einst in Südwestdeutschland - und das, obwohl sie viel Arbeit in ihr Land gesteckt hatten.

Im Winter 1806-07 war die Lage in Südpreußen besonders schwierig: Das Land mußte Napoleons riesige Armeen ernähren. Ein Reisender berichtete darüber, was er im Gebiet zwischen Posen und Warschau im Frühjahr 1807 - also nach der Kampagne Napoleons 1806/07 gegen Preußen und Rußland - weit verbreitet sah: "Verlassene Güter, zerbrochene Fenster, aus den Scheunen geworfene Getreidebündel ... hier und da sieht man einen in Lumpen herumstreunenden Bauer in den Straßen betteln; kein Zeichen von Wiederaufbau, niemand bewirtschaftet das Land, kein Vieh in der ganzen Gegend."12)

So hatten sich das die südwestdeutschen Immigranten wohl nicht vorgestellt. Manche verloren den Mut und ließen die bescheidenen Früchte mehrjähriger Arbeit stehen und liegen und gingen zurück nach Südwestdeutschland, bzw. emigrierten weiter nach Wolhynien, Galizien u.a. - oder eben einige Jahre später nach dem Zusammenbruch des Herzogtums Warschau nach Bessarabien.

 

Umstände im Herzogtum Warschau9)

Da ein großer Teil der Emigranten nach Bessarabien - darunter auch die Klöstitzer Siedler - nach dem Rückzug der Armeen Napoleons und oft schon vor der Neuordnung der europäischen Staatenlandschaft (1815) dem Aufruf von Zar Alexander I folgte und ab 1813 nach Bessarabien emigrierte, soll an dieser Stelle auf die Lebensumstände der Bevölkerung während der de facto sechsjährigen Existenz des Herzogtums Warschau ab 1807 eingegangen werden. Dann kann man wohl am besten verstehen, in welcher Situation sich die südwestdeutschen Immigranten dort befanden und weshalb sie - oft erst ein paar Jahre im Land - bereit waren, erneut ihr Glück in der Emigration zu suchen.

Mit dem Herzogtum Warschau wurde nach dem Frieden von Tilsit (1807) der polnischen Nation von Napoleon wieder ein - in Grenzen -  unabhängiger Staat gegeben; tatsächlich handelte es sich dabei allerdings um einen französischen Satellitenstaat. Er umfaßte vor allem den Raum der nunmehr ehemaligen preußischen Provinzen Süd- und Neu-Ostpreußen und den bereits 1772 an Preußen verlorengegangenen Netzedistrikt, später kam noch das von Österreich annektierte Westgalizien hinzu. Es handelte sich also um die zentralpolnischen Gebiete, in denen von Preußen vor allem auf staatlichen Ländereien aber teilweise auch auf enteigneten polnischen Gütern südwestdeutsche Kolonisten angesiedelt worden waren. Diese südwestdeutschen Immigranten mußten also damit rechnen, daß die alten Herren ihres Landes wiederkamen. Und dabei hatten sie sich gerade einmal unter oft schwierigen Umständen in Süd- und Neu-Ostpreußen niedergelassen.

Das Herzogtum wurde von Napoleon nach französischem Modell (Code Napoleon) geschaffen.  Zum einen war seine Gründung eine Konzession an die in seinen Regimentern kämpfenden Emigranten aus der in den letzten polnischen Teilungen untergegangenen Adelsrepublik; eine größere Bedeutung lag für ihn jedoch in der Erniedrigung Preußens durch Einschränkung seines strategischen Bewegungsraumes durch das Königreich Westfalen im Westen und das Herzogtum Warschau im Osten sowie in der Auferlegung von unspezifizierten Reparationszahlungen. Der neue Staat hatte 1807 nur eine Bevölkerung von 2,6 Mio. Einwohnern. Nach der Rückgewinnung des von Österreich annektierten Westgaliziens (1809) lebten im Herzogtum Warschau rund 4,3 Mio Menschen, davon 79% Polen, 7% Juden und 6% Deutsche - darunter auch manche spätere Emigranten nach Bessarabien.  Der Anteil der Bauern an der Bevölkerung betrug  gut 80%. Die Regierung des Herzogtums war während der kurzen Zeit seiner Existenz vor allem mit militärischen und politischen Fragen beschäftigt, um seine Unabhängigkeit als eigenen neu gegründeten polnischen Staat zu sichern. Sein Schicksal war fest mit den Erfolgen der Feldzüge Napoleons verknüpft. Mit dem Rückzug der Grande Armée aus Rußland ging auch das Herzogtum unter. Russische Truppen standen bereits im Frühjahr 1813 wieder in Warschau.

Nach dem Einmarsch Napoleons in Berlin und nach seiner Proklamation gegenüber den Polen im von Preußen besetzten Gebieten Zentralpolens, daß er gedenke unter bestimmten Bedingungen (Aufstellung von polnischen Heereseinheiten u.a.) wieder einen polnischen Staat gründen zu wollen, übernahmen polnische Truppen die Kontrolle über die größeren Städte und überall kam es zu Aufständen: So wurden preußische Truppen in Südpreußen (Großpolen) unter Beteiligung der örtlichen Bevölkerung entwaffnet, die Regierungskasse sichergestellt u.a. Von den größeren Städten ausgehend erfaßte der Aufstand bald die Dörfer und machte auch vor den Häusern preußischer Gutsherren nicht halt. Alle Zeichen preußischer Herrschaft wurden zerstört, preußische Beamte inhaftiert oder polnischen Befehlen unterstellt. Der Einmarsch französischer Truppen konsolidierte die Ergebnisse dieses Aufstands.

So enthusiastisch die französischen Truppen von den polnischen Bauern begrüßt worden sind, so schnell wurden diese jedoch auch mit dem gnadenlosen französischen Requirierungssystem konfrontiert; denn die französische Armee ernährte sich nicht aus Magazinen, sondern von dem Land, in dem sie sich bewegte - das machte sie u.a. auch so schnell. In den fruchtbaren Regionen Norditaliens oder Süddeutschlands war das i.d.R. auch möglich, doch die kargen polnischen Böden gaben nicht soviel her, einerseits die Bevölkerung und zusätzlich die zigtausende Mann starken französischen Truppen zu ernähren. Die Bauern flüchteten von ihrem Land, denn sie hatten weder genug, sich selbst zu ernähren, geschweige denn die französische Armee. Es kam zu Plünderungen und Vergewaltigungen seitens der französischen Truppen, was die Beziehungen zur einheimischen Bevölkerung erheblich strapazierte.

Von der neuen fortschrittlichen Verfassung wurden auf dem Papier de jure Leibeigenschaft und Erbuntertänigkeit abgeschafft und Gleichheit vor dem Gesetz proklamiert. Da die Regierung in stürmischen Zeiten vor allem auf die Steuerzahlungen der meist adeligen Gutsherren (der Schlachta, 5% der Bevölkerung)  angewiesen war, hatte sie kein Interesse daran, die Bauern auch tatsächlich aus ihrem feudalen Abhängigkeitsverhältnis zu befreien. Und Napoleon kam es zu allererst auf politische Stabilität an. Er konnte sich keine Zugeständnisse an die Bauern leisten, denn er mußte befürchten, daß der polnische Adel dann womöglich auf die russische Karte setzen würde. So erklärte er sie zwar frei, überließ ihre Emanzipation aber de facto dem Gutsherrn. Macht und Eigentum an Land verblieb also i.d.R. in den Händen des alten Adels, und deshalb änderte sich an der Situation der Bauern im Land auch praktisch nichts: Fronarbeit dominierte, nur 1,5% der Bauern zahlte eine Form von Pacht - dazu gehörten auch die meisten der südwestdeutschen Kolonisten.

Die Lebensumstände von Gutsbauern, Bauern auf staatlichen Ländereien und feien Bauern mit sicheren auf Erbpacht beruhenden Eigentumstitel an Land unterschieden sich. Nur die verschwindend geringe Minderheit von rund 1% der Bauern im Herzogtum, d.h. rund 40.000,  konnten sich zu den freien Bauern zählen. Sie besaßen auch schon während der preußischen Zeit persönliche Besitz- und Freiheitsrechte und die Befreiung von der Fronarbeit. In den Departements Poznań (Posen) und Bydgoszcz (Bromberg) lag ihr Anteil jedoch deutlich höher, was sicherlich ein Ergebnis der preußischen Kolonistenansetzung in den Jahren zuvor war. Zu ihnen gehörte auch der größte Teil der südwestdeutschen Kolonisten, denn bereits vertraglich den Bauern zugestandene Rechte wurden vom Herzogtum Warschau bekräftigt. Die Regierung bestand jedoch darauf, daß die Siedler die den preußischen Behörden gegenüber eingegangenen Verpflichtungen erfüllen. Das betraf vor allem die Zahlung des Erbzinses aus den Erbzinsverträgen, die nach Ablauf von sechs Freijahren nun alljährlich fällig wurden. Angesichts ihrer katastrophalen wirtschaftlichen Situation waren die Kolonisten oftmals kaum dazu in der Lage. Es kam vor, daß sie ihr gesamtes Vieh und auch Saatgetreide verkaufen mußten.

Der in der Regierung des Herzogtums tonangebende polnische Adel setzte alles daran, das von Preußen geraubte private- und öffentliche Eigentum wieder zurückzuerhalten. So verloren jene südwestdeutschen Siedler, die keine sicheren Besitztitel hatten, oft wieder Haus und Hof, Ernte und Vieh und sie mußten sich als Tagelöhner bei polnischen Gutsbesitzern verdingen. Da die Regierung kein Interesse an Abwanderungen hatte, versuchte sie im Allgemeinen trotz allem diese Kolonisten von der Emigration abzuhalten, sie führte sogar die laufenden preußischen Besiedlungsaktivitäten weiter fort - wenn auch in geringerem Umfang und unter noch schlechteren Bedingungen.

Die kreuz und quer durchs Land ziehenden Armeen der Feldzüge der Jahre 1806-07, 1809 und 1812-13 hinterließen eine Spur der Verwüstung und führten zu einer erheblichen Zunahme der Zahl landloser Bauern, die versuchten, in den bescheidenen Industrien vor allem von Warschau, Posen und Krakau unterzukommen. Ansonsten konnten sie sich höchstens noch als Wanderarbeiter auf Gütern verdingen oder sich eine Stelle als Personal in den Städten suchen. Vielen blieb nichts übrig, als sich zu den Armeen von Landstreichern und Bettlern zu gesellen, die sich im Herzogtum herumtrieben. Zu den mit den vielen Kriegen verbundenen Lasten wie Kontributionen, Requirierungen, Rekrutierungen, Arbeitsverpflichtungen zum Festungsbau, etc. kam noch die wirtschaftliche Depression durch die Kontinentalsperre hinzu sowie dürrebedingte schlechte Ernten, die in den Jahren 1808 und 1811-12 zu regelrechten Hungersnöten führten.

Krieg und Hunger waren in dieser Zeit die Hauptgründe für die interne Migration in die Städte und für die Emigration meist nach Preußen oder Russland. Sobald sich ein Truppendurchzug ankündigte wurden oft ganze Dörfer verlassen. Am schlimmsten betroffen war der Nordwesten des Herzogtums: dreimal wurde er von gewaltigen Armeen durchstreift. Besonders stark verwüstet war das Departement Płozk, aus dem auch viele Klöstitzer stammen. Dort fiel Reisenden11) im Jahr 1814 die Armseligkeit der Dörfer und Verkehrswege auf. Sie berichteten davon, daß die Menschen in der Gegend von Sompolno (300 Einwohner, darunter auch einige Klöstitzer) allgemein in allergrößter Armut lebten, daß überall Hunger und Not herrschte und daß Dummheit und Unwissenheit weit verbreitet waren. Die Häuser beschrieben sie als kleine, heruntergekommene dreckige Fachwerkhäuser mit Strohdach.

Die geschilderten Umstände stürzten weite Teile der Bevölkerung vor allem auf dem Land in Not und Elend und kosteten knapp 600.000 Menschen das Leben. Mit einem Geburtenüberschuß von 122 pro 10.000 Einwohnern (die Bundesrepublik hatte in 2004 ein Defizit von etwa -10) wurde der Bevölkerungsverlust jedoch relativ schnell wieder ausgeglichen.

Das Angebot des Zaren vom 29.11.1813, sich in Bessarabien anzusiedeln, fand also einen fruchtbaren Boden: Auch wenn aus dem Herzogtum Warschau nur ausreisen durfte, wer seine Schulden gezahlte hatte und noch zudem ohne Entschädigung für Gebäude und Land - allein das bewegliche Vermögen durfte mitgenommen werden -, ergriffen viele die Gelegenheit, ihrem Elend zu entkommen und einen Neuanfang zu beginnen. Auch wenn die überwiegende Mehrzahl der Emigranten aus dem Gebiet des Herzogtums Warschau kamen, sind manche doch auch direkt aus Westpreußen und angrenzenden Gebieten nach Bessarabien emigriert: sowohl südwestdeutsche als auch andere Siedler der 50er und 80er Jahre bzw. deren Nachkommen und auch Ansässige.

 

Emigration nach Bessarabien - Umstände, RoutenKlöstitzer Dorfplan

Insgesamt emigrierten vom Beginn der Aussiedlung (1813) bis zu deren Ende im Jahre 1842 etwa 9.000 Personen nach Bessarabien, die meisten davon aus dem heutigen Zentral- und Nordwestpolen, viele direkt aus Süddeutschland und ein kleiner Teil aus dem südrussischen Chersongebiet.10) Sie kamen - wie auch die Klöstitzer Siedler - in den ersten Jahren vor allem aus dem Herzogtum Warschau und zum Teil auch aus Westpreußen und angrenzenden Gebieten; später dann kamen sie auch direkt aus Süddeutschland. Nicht ganz drei Viertel der Emigranten aus dem Herzogtum Warschau, die in Klöstitz angesiedelt wurden, waren südwestdeutsche Kolonisten bzw. deren Nachkommen, die sich aus ihren miserablen Lebensumständen im Herzogtum befreien wollten.
Dies war 40 - 50 Jahre nach den Wolgadeutschen die zweite große Welle bäuerlicher deutscher Emigration in die südrussischen Steppen. Wie die erste Emigrationswelle dem Ruf und den Angeboten der Zarin Kartharina II aus dem Jahr 1763 folgte, so folgte die zweite Welle dem Aufruf und den Angeboten von Zar Alexander I aus dem Jahr 1812 zur Auswanderung nach Rußland, darunter auch die Siedler deutscher Herkunft in Bessarabien. Russland lag damals viel daran, seine 1812 im Bukarester Frieden neu hinzugewonnenen Gebiete in Südosteuropa zu konsolidieren. Dies galt auch für Bessarabien, das nach 350 Jahren Zugehörigkeit zum Osmanischen Reich nun zum Russischen Reich gehörte. Die Strategie des Zaren war Besiedlung des Gebiets mit disziplinierten, verläßlichen, hart arbeitenden, der Sache ergebenen Kolonisten. Alles Charaktereigenschaften die den Deutschen von russischer Seite schon seit jeher zugeschrieben wurden.
Mit deutschen Siedlern hatte man schon einmal im Wolga- und auch im Schwarzmeergebiet gute Erfahrungen gemacht. Nachdem Napoleon besiegt worden war, schickte der Zar im Jahr 1813 seine Werber ins von russischen Truppen besetzte Herzogtum Warschau, um dort deutsche Kolonisten zu werben. Den Siedlern wurden eine Reihe von Sonderrechten und Zusagen gemacht, um die Ansiedlung anziehend zu machen und sie schnell in Gang zu bringen. Die wichtigsten Privilegien waren die Befreiung von allen Lasten und Abgaben auf 10 Jahre, die Freiheit von Militär- und Zivildienst sowie Religionsfreiheit. Auch erhielten die Siedler das Recht zur Selbstverwaltung und zur Einrichtung von Schulen. Jede Familie bekam etwa 60 Dessjatinen (66 ha) Land und das allernötigste Material für den Bau eines Kronshäuschens (von der russischen Krone bezahltes provisorisches Siedlungshaus). Der Aufruf richtete sich vor allem an die deutschen Siedler im damaligen Herzogtum Warschau, wurde aber auch in Südwestdeutschland gehört.
Nchdem sie sich in Lodz und Warschau in Lagern gesammelt hatten, traten die Auswanderer geführt von russischen Führern in kleinen Gruppen auf ungepflasterten Wegen ihre beschwerliche Reise nach Bessarabien an. Sie waren mit Pferde-/Ochsenwagen und Handwagen oder einfach zu Fuß mit dem Rucksack unterwegs.Klicken Sie hier für eine detaillierte Karte mit den Herkunftsorten/Zwischenstationen der Klöstitzer SiedlerKlicken Sie hier für eine detaillierte Karte mit den Herkunftsorten der Klöstitzer Siedler
Es gab drei Emigrationsrouten: Einmal direkt aus Südwestdeutschland mit den sogenannten "Ulmer Schachteln" auf der Donau bis nach Ismail. Die Siedler brauchten dafür einige Monate und sie wurden östlich von Wien zahlreich von Krankheiten heimgesucht und zu einem bedeutenden Teil dahingerafft. In Ismail mußten sie aus diesem Grund zuerst eine Quarantänestation durchlaufen, bevor sie die bessarabische Steppe besiedeln konnten. Die zweite Route führte von Südwestdeutschland über Dresden, Breslau, Lemberg (bzw. Wien, Krakau, Lemberg oder Budapest, Lemberg) nach Radziwillow, von dort dann nord-östlich entlang der Karparten und schließlich von Osten kommend bei Bender über den Dnjestr nach Bessarabien. Die dritte Route kam von Norden aus dem Herzogtum Warschau. Diese Route nahmen auch die 134 Familien, die sich dann später in Klöstitz ansiedlen sollten. Sie kamen hauptsächlich aus den Gebieten Posen, Wloclawek, Lodz und Warschau und wurden vom russischen Regierungskommissar Krüger geführt. Ab Lemberg nahm diese Route den gleichen Verlauf wie die zweite. Der Landweg führte über das bereits von Deutschen besiedelte ehemals ostpolnische Wolhynien (Radziwillow), wo die Emigranten von russischen Behörden empfangen und weitergeschickt wurden.

 

1) Als Grundlage für die Beschreibung der Emigration aus dem südwestdeutschen Raum wurde hier hauptsächlich W. Hippels "Auswanderung aus Südwest-deutschland: Studien zur würtembergischen Auswanderung und Auswanderungspolitik im 18. und 19. Jahrhundert" und Lowell C. Bennions "Flight from the Reich. A Geographic Exposition of Southwest German Emigration, 1683 - 1815" herangezogen.

2) Hippel, 1984, S. 65; eigene Berechnungen: 1 Württemb. Scheffel = 177,24 l; Spez. Gewicht Dinkel = 833 g/l

3) Ebd., S. 82/83

4) Kuhn, 1971, S. 190

5) Maas, 1971, S. 199, 201

6) Ebd., S. 209

7) Mehring, 1930, S. 283/284

8) Ebd., S. 286

9) Als Grundlage für die Beschreibung der Lebensumstände vor allem der ländlichen Bevölkerung im Herzogtum Warschau wurde hier hauptsächlich John D. Stanleys ausführliche Dissertation "A Political and Social History of the Dutchy of Warsaw, 1807-1813" herangezogen.

10) Da das Zahlenmaterial apropos der Emigrationsströme widersprüchlich ist, wird auf eine weitere zahlenmäßige Aufschlüsselung erst einmal verzichtet.

11) Johnston, 1815, S. 448/449

12) Zitiert aus Wandycz, 1974, S. 48/49, eigene Übersetzung

13) Senkowska-Gluck, 1969, S. 393

14) Zu dem hier verwendeten Zahlenmaterial s. Hippel, 1984, S. 43 - 45, 64; Kuhn, 1971, S. 193; Bennion, 1971, S. 87; es wurden teilweise eigene Berechnungen vorgenommen

15) S. hierzu Hippel, 1984, S. 148 ff.